1.2.1. Karl Lachmann und Moritz Haupt

Schon am zweiten Teil des Vorworts der ersten Auflage Des Minnesangs Frühling erkennt man, wie jung die Wissenschaft, mit der man sich hier beschäftigte, noch war. Nach der oben schon erwähnten Darstellung des Konzeptes der Anthologie folgt noch im Vorwort eine Aufzählung der verwendeten Handschriften und ein Kommentar zur Beschaffenheit der jeweiligen Vorlagen: Hand-schrift A ist im Abdruck und in Abschriften und Vergleichungen Lachmanns zugänglich; für Texte aus der Handschrift F wurde diese selbst benutzt; die Handschrift J wurde für Haupt von einem Freund abgeschrieben.

Es folgt die Inhaltsangabe, die eine reine Aufzählung der Dichter ohne Angabe der Seitenzahlen oder ähnlicher Hilfsmittel ist. Auffällig am folgenden Textteil ist nicht nur die einheitliche Typographie, die keine Rückschlüsse auf Lesearten oder ähnliches zulässt, sondern auch die Verszäh-lung der Anthologie, die von Lachmann und Haupt begründet wird, so geformt in die Sekundärlite-ratur eingeht, und prägend bis zur 38. Ausgabe nachwirkt. Die Besonderheit ist folgende: Das Lied "Diu linde ist an dem ende" hat unter Lachmann und Haupt die Bezeichnung 4,1. Das heißt nun, dass dieses Lied in der ersten Auflage auf Seite 4 mit dem Vers 1 beginnt. Analog zu dieser Zählung sind die Anmerkungen, in denen man als Benutzer den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nachlesen kann, und der Leseartenapparat aufgebaut, die an den Textteil angeschlossen sind. Der Nachteil der schon in dieser ersten Auflage für alle weiteren entsteht, ist, dass diese Art der Zählung in keiner der folgenden Bearbeitungen logisch weitergeführt werden kann, da sich nicht nur der Inhalt des Werkes sondern auch das Layout und somit die Seitenzahlen ändern, und die von Lachmann und Haupt eingeführte Verszählung in weiterer Folge jeglicher logischen Grundlage entbehrt.

Ein weiterer Kritikpunkt aus heutiger Sicht ist die Lage und Ausführung des Leseartenappa-rates. Dass dieser Apparat keinen besonders hohen Stellenwert hatte, geht nicht nur aus der Intenti-on der Editoren hervor - einen Text nahe am Original zu schaffen - sondern auch an der Positionie-rung des Apparates: im Anhang innerhalb der Anmerkungen. Diese sowie auch der Leseartenapparat sind ähnlich dem Text äußerst unübersichtlich und schwer zu handhaben. Inhaltlich bringt der Leseartenapparat allerdings alle wichtigen Unterschiede zwischen Edition und Handschrift, und es wird auch mit Sigle auf die Quellhandschrift verwiesen.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass dieses Werk ein typisches Produkt seiner Zeit ist, und, wie aus der Beschreibung schon hervorgeht, alle positiven und negativen Aspekte der da-mals noch sehr jungen Editionswissenschaft in sich vereint.

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